Protestaktion vorm Michelstädter Rathaus

Lehrermangel und Bezahlung der Grundschulkräfte hängen doch zusammen...

Lehrermangel an hessischen Schulen ist nichts Neues. Dass dieser Umstand besonders auf Grundschulen zutrifft und auch etwas mit der Bezahlung zu tun hat, steht im Mittelpunkt einer landesweiten Protestaktion der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Am Donnerstag (13.10.2022) haben auch auf dem Marktplatz in Michelstadt Lehrkräfte und Passanten demonstriert. Michelstadt war damit die neunte Station in Hessen.

Angelika Lerch (Erbach) gehört dem Vorstand der GEW im Odenwaldkreis an. Sie ist erfahrene Grund- und Förderschullehrerin und sieht in der ungleichen Honorierung einen der Hauptgründe für die Lücken in der ausreichenden Versorgung der Schulen. „Wussten Sie, dass die Grundschullehrerinnen im Vergleich zu allen anderen Lehrkräften in Hessen schlechter bezahlt werden? Sie erhalten eine ganze Gehaltsstufe weniger als Lehrkräfte in den anderen Schulformen“, kam sie gleich auf den Kern des Problems zu sprechen. Bewusst habe sie die weibliche Form verwendet, „denn in den Grundschulen arbeiten zu 90 Prozent Frauen“. Bei näherer Betrachtung dränge sich der Gedanke nahezu auf, dass die geringere Bezahlung einer geschlechterspezifischen Diskriminierung gleichkomme – was auch auf viele Erzieherinnen in den Kindertagesstätten zutreffe.

Lerch weiter: „Auch hier an den Odenwälder Grundschulen sind wir gezwungen, die Löcher mit befristeten Vertretungskräften zu stopfen, die nur zum Teil oder eventuell gar nicht grundschulpädagogisch qualifiziert sind. Niemand könne den Pädagogen „die Sorge um die Bildungsqualität und die Entprofessionalisierung absprechen“.

Die Forderung der GEW Hessen, die von Thilo Hartmann (Landesvorsitzender) und Heike Ackermann (stellvertretende Landesvorsitzende) näher untermauert wurden, lautet daher: Höhergruppierung der Grundschullehrer nach A 13 und damit auf das Niveau der Lehrkräfte an den weiterführenden Schulen. Nach den Bundesländern Schleswig-Holstein, Bremen, Hamburg, Brandenburg, Berlin, Sachsen, Thüringen und zuletzt auch Nordrhein-Westfalen sei die Zeit längst reif, dass auch Hessen jetzt nachziehe. Zuversichtlich äußerte sich der Vorsitzende der GEW Hessen, Thilo Hartmann, seien doch „durch die Oppositionsparteien im Landtag gleich mehrere aktuelle und brisante bildungspolitische Debatten angestoßen worden“. Dies betreffe den „Fach- und Lehrkräftemangel, die unzureichenden Ausbildungskapazitäten, die zu hohe Arbeitsbelastung, die unzureichende Bezahlung der Grundschullehrkräfte als auch den erheblichen Investitionsstau der Bildungsinfrastruktur“ – alles Themen, die von der GEW seit langem problematisiert worden seien. Am Anfang müsse eine offene und konstruktive Diskussion im Landtag und eine ehrliche Bestandsaufnahme stehen“.

Auch die stellvertretende Landesvorsitzende, Heike Ackermann, sieht, dass Bewegung in das Thema gekommen ist. Besonders drängend sei es, dem Lehrkräftemangel an Grundschulen mit der Anhebung der Eingruppierung nach A 13 beziehungsweise E 13 zu begegnen. Auch gehe es darum, Pflichtstunden zu reduzieren, um mehr Zeit für das einzelne Kind zu haben. Sie rief zur Teilnahme an einer abschließenden Großkundgebung auf, die am 12. November in Frankfurt stattfinden werde.

Deutliche Worte richtete Tony Schwarz von der GEW Südhessen, zugleich Vorsitzender des Gesamtpersonalrats beim Staatlichen Schulamt Bergstraße/Odenwald, an die Runde: „Es geht um die Kernaufgaben des Staats. Sie werden von abgehobenen Politikern mit Füßen getreten.“ Gemeint war damit, dass gleich auf etlichen Gebieten der staatlichen Versorgungsebenen Überlastungsanzeigen, Krankenstände und Unterbesetzung ein nicht mehr hinnehmbares Ausmaß angenommen habe; neben den Schulen auch in den Kindertagesstätten, auf Krankenstationen, in Pflegeheimen und bei der Polizei.

DGB-Sekretär Horst Raupp (Darmstadt) erinnerte daran, dass Hessen als einziges Bundesland nicht der Tarifgemeinschaft angehöre. Es sei längst wieder an der Zeit, eine progressive Schulpolitik einzufordern, zu der neben einer besseren Bezahlung auch bessere Arbeitsbedingungen gehörten. Wie diese sich derzeit gestalteten, wurde von Nicole Klingenberg von der Stadtschule Michelstadt unter Beifall aufgezählt. Anstelle von Entlastungen werde immer mehr abverlangt. Dies reiche von der Einarbeitung von schulfremdem Personal bis hin zur Betreuung von traumatisierten Flüchtlingskindern und Inklusionsaufgaben ohne Unterstützung. „An den Grundschulen in Hessen sind fast 14 Prozent der Lehrkräfte nicht für diesen Beruf ausgebildet“, kritisierte Heike Ackermann einen Zustand, auf den Kultusminister Alexander Lorz nur mit „Realitätsverweigerung“ reagiert habe.

Text: Manfred Giebenhain