Wiederaufnahme des Schulbetriebs

Kreisverband kritisiert die Umsetzung als dilettantisch und nachlässig

Mit großem Unverständnis reagiert der Kreisverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) des Odenwaldkreises auf die Ankündigungen von Kultusminister Lorz zur schrittweisen Wiederaufnahme des Unterrichts an hessischen Schulen.  „Einen Wiedereinstieg in den Unterricht wünschen wir uns als Bildungsgewerkschafter sicher von Herzen, allerdings muss dieser verantwortungsvoll und mit großer Umsicht organisiert werden. Dieses Verantwortungsbewusstsein vermissen wir bei den Ankündigungen des Kultusministers“, heißt es in einer Mitteilung der Odenwälder Bildungsgewerkschaft.  Lorz' Aussage in der Landespressekonferenz, man könne „nicht warten, bis die letzte Toilette auf dem neusten Stand ist", sei angesichts bedrückender Zustände einiger Schulen nicht hinzunehmen und zerstöre die Glaubwürdigkeit bezüglich der dramatischen Mahnungen der letzten Wochen. 

Wer von der größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg spreche, könne nicht vermitteln, warum der Hauptschulabschluss oder der Realabschluss angesichts der Extrembedingungen nicht einmalig auch ohne zentrale Abschlussprüfung vergeben werden kann, so wie das in Hessen bis 2004 der Fall war.  

Von den vielen Lehrkräften, die 60 Jahre und älter sind oder schwerwiegende Vorerkrankungen haben wie auch Kindern, die evtl. gesundheitliche Beeinträchtigungen haben, war in den Aussagen des Kultusministers am Donnerstagabend genauso wenig die Rede wie von konkreten Maßnahmen zur Einhaltung der Abstandsregeln. Zur Frage der zulässigen Gruppengrößen in den Abschlussklassen der Mittelstufe und in den vierten Klassen der Grundschulen sagte Minister Lorz, diese werde sich „irgendwo zwischen 10 und 15“ einpendeln. Der Kreisvorstand des GEW-Gremiums im Odenwaldkreis hält diese Aussage für absolut nachlässig, verantwortungslos und fernab jeder Realität. Die durchschnittlichen Klassenräume im Odenwaldkreis - wie i.d.R. überall - seien zu klein, die geforderten Abstandsregeln einhalten zu können, gerade auch deshalb, weil v.a. die Grundschulkinder nicht unbegrenzt still auf ihren Plätzen sitzen könnten. Nicht umsonst sei die Gruppengröße in den bestehenden Notbetreuungen auf 5 Kinder begrenzt! Übertrage man die Forderungen für den Einzelhandel, pro Einzelkunde 20 m² anzusetzen, wären in der Schule bei 10 Kindern 200 m² nötig.

Darüber hinaus seien in den Grundschulen die Abstandsregelungen auch außerhalb des Unterrichts kaum durchzuhalten: Kinder, die sich lange nicht gesehen haben und sich nach sozialer Nähe sehnen, würden sich weder in den Pausen noch beim Ankommen oder Verlassen der Schule an Regeln halten. Auch der Transport in den Schulbussen sei diesbezüglich eine Herausforderung.

Auch auf die Fragen nach der Bereitstellung von Desinfektionsmitteln und Schutzmasken habe der Minister ausweichend oder mit Abwehr reagiert. Schutzmasken könne er sich im pädagogischen Umgang nicht vorstellen, wohlwissend, dass im öffentlichen Raum dringend zum Tragen von Masken geraten wird. Auch sei der hiesige Schulträger für die entsprechende Ausstattung zuständig. Die GEW-Spitze frage sich, wie dieser seine nicht vorhandenen Reserven auffüllen könne, um alle Schulen bedienen zu können.  

Weiterhin weist die GEW darauf hin, dass 4. Grundschulklassen keine  „Abschlussklassen" sind, die sich auf irgendeine Prüfung vorbereiten müssen. Die Aussage, man habe die Abstands- und Hygieneregeln ja bereits „beim Abitur erfolgreich erprobt“, bezeichnen die Bildungsgewerkschafter angesichts der Realitäten im vierten Schuljahr als „dilettantisch“.

Die  hiesige GEW fordert den Odenwaldkreis als Schulträger und das Staatliche Schulamt in Heppenheim auf, die Berichte aus den Schulen ernst zu nehmen und verantwortungsvoll zu handeln. Dazu gehören aus Sicht der Gewerkschaft ausreichende Vorlaufzeiten für die Wiederaufnahme von Präsenzunterricht sowie verantwortungsbewusste, am Alter der Kinder orientierte maximale Gruppengrößen, die die Einhaltung der Abstandsregeln wenigstens im Klassenraum ermöglichen. Unerlässlich sind für die GEW auch verbindliche Vorgaben für die Verfügbarkeit von Desinfektionsmitteln und – falls erforderlich oder gewünscht – von ausreichendem Mundschutz, für die Ausstattung der Klassenräume mit Handwaschmöglichkeiten, Seife und Einmalhandtüchern und hygienischen Entsorgungsmöglichkeiten (etwa geschlossene Mülleimer) sowie für die Reinigungsstandards und -intervalle unter den Bedingungen einer Pandemie. Notwendig seien ferner klare Festlegungen für alle in Schulen Beschäftigten in der Altersgruppe ab 60 Jahre und mit wesentlichen Vorerkrankungen und Festlegungen für den Betreuungsanspruch von Lehrkräften mit Kindern (alleinerziehend bzw. beide Eltern berufstätig) bzw. Freistellungsregelungen, wenn eine solche Notbetreuung nicht zur Verfügung steht. Auch müsse man sich mit der Thematik von Regelungen zum Ausschluss von Kindern vom Unterricht, die Erkältungssymptome zeigen oder die Hygieneregeln wiederholt oder massiv missachten, befassen.

Laut Äußerungen der Ministerpräsidenten der anderen Bundesländer seien die Kultusministerien aufgefordert, bis zum 29.04. Konzepte und sinnvolle Regelungen für die stufenweise Öffnung der Schulen zu erarbeiten. Hessen habe sich diesen Schritt „gespart“ und lasse einmal mehr die Schulen mit der ganzen Problematik allein. Durch das Vorpreschen der hessischen Landesregierung, die deutlich vor den meisten anderen Bundesländern die Schulen wieder öffnen will, sei den Schulträgern nach Einschätzung der GEW die Zeit genommen worden, eine Bestandsaufnahme zu den hygienischen Bedingungen in den Schulen durchzuführen und etwaige Missstände zu beseitigen

„Die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen und der Beschäftigten hat für uns oberste Priorität. Auf dem Spiel steht aber auch die Glaubwürdigkeit der Politik, die ihre ernsthaften Mahnungen und Maßnahmen jetzt mit einer übereilten und leichtfertigen Öffnung der Schulen ohne die entsprechenden Vorkehrungen in Frage stellt“, heißt es in der GEW-Mitteilung.