Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung - konkrete Planungen und Konzepte lassen auf sich warten!

GEW beantwortet dezidierte Anfragen des Odenwälder Echos

Ab 1. August 2026 soll jedes Kind der 1. Klasse einen Rechtsanspruch auf eine ganztägige Betreuung haben und zwar in vollem Umfang (8 Stunden an 5 Werktagen). Die Ausweitung auf die weiteren Klassenstufen soll bis August 2029 geschehen und so jedem Grundschulkind diesen Rechtsanspruch gewähren. 

So sieht es das Bundesgesetz im Rahmen des „Ganztages der Zukunft vor“, die Länder haben es auszuführen bzw. letztendlich die Kreise, Kommunen und Städte.

Sicher ist der zunehmende Kinderbetreuungsbedarf überall deutlich spürbar und die Zielrichtung richtig, nämlich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern wie auch die Bildungschancen der Kinder zu verbessern.

Allerdings lassen Planungen und Konzepte zur Umsetzung auf sich warten geschweige denn, dass brauchbare Daten zur Ausgangssituation (räumlich, personell und finanziell) erhoben worden wären, um dementsprechend Maßnahmen ableiten zu können – weder auf der Ebene der Landesregierung noch auf der der Schulträger. Es wurde bzw. wird keine solide Planung vorgenommen noch wurde oder wird für die Ausbildung des nötigen Personals gesorgt. Die GEW Hessen spricht deshalb von einem  „Scheitern im Blindflug“. 

Nach Erhebungen der GEW haben im Jahr 2022 etwa 54 % der Grundschulkinder in Hessen ein ganztägiges Betreuungsangebot in Anspruch genommen, während der Bedarf tatsächlich bereits bei 68 % lag. Bei einer Prognose von zukünftig 75 % ergibt sich ein erheblicher zusätzlicher Bedarf an Lehr- und Betreuungspersonal – und dies angesichts des ohnehin bestehenden Mangels an Lehrkräften und Fachkräften.

 

Zur 1. Frage: Einschätzung der GEW zur aktuellen Personaldecke für den GT? Welche Maßnahmen werden benötigt, um qualifiziertes Personal zu gewinnen?

Das ist schwierig einzuschätzen. Wie gesagt, gibt es keine uns bekannten faktenbasierten Daten zum Einsatz von Personen in den Betreuungsangeboten oder dazu wer in welchem Umfang mit welcher Qualifikation dort arbeitet. Oder auch z.B., wie mit Krankheitsausfällen umgegangen wird?

Die Zuweisungen für die „ganztägig arbeitenden Grundschulen“, hier bei uns im Odw.kreis inzwischen alle nach Profil 1 (an mind. 3 Tagen bis 14.30 Uhr, i.d.R. Mittagessen, Hausaufgabenbetreuung, AGs) sind von oben, sprich: Kultusministerium, gedeckelt.

Unsere eigenen Recherchen und Eindrücke bzw. Rückmeldungen von den Schulen ergeben ein sehr heterogenes Bild. Auf jeden Fall geben sich alle Schulleitungen mit ihren Betreuungsteams viel Mühe und müssen häufig improvisieren, um den Kindern und Eltern ein verlässliches, qualitativ gutes Betreuungsangebot machen zu können.

Um langfristig qualifiziertes Personal für die Betreuungsangebote zu gewinnen, wäre es notwendig, gezielte Kampagnen zu starten, in echte Qualifizierungsmaßnahmen zu investieren und möglicherweise eng mit den Berufsschulen zu kooperieren. Diese Schritte hätten idealerweise schon früher eingeleitet werden müssen.

 

Zur 2. Frage: Gibt es an den Schulen im Odenwaldkreis bereits räumliche und technische Ausstattung für den GT? Was wäre konkret nötig?

Die räumlichen und technischen Voraussetzungen für den Ganztag an den Grundschulen im Odenwaldkreis sind so vielfältig wie die Schulen selbst. 

An der kleinsten Grundschule in Sensbachtal mit rund 20 Kindern in zwei Klassen unterscheidet sich die Situation erheblich von der größten Schule in Höchst, die etwa 380 Kinder in 16 Grundschulklassen zuzüglich zwei Vorklassen, zwei Intensivklassen und zwei Klassen für besonderen Förderbedarf beherbergt. 

Entsprechend unterschiedlich gestaltet sich das Ganztags- und Betreuungsangebot und die damit verbundenen  Probleme und Herausforderungen sind es dementsprechend auch. 

Was immer wieder als belastend wahrgenommen wird, sind die eingeschränkten Platzverhältnisse und die Tatsache, dass Räumlichkeiten häufig multifunktional genutzt werden müssen und somit oft Improvisationstalent von den Verantwortlichen vor Ort abverlangen. 

In Höchst hat man beispielsweise mit viel Engagement und Kraft einen Essensraum geschaffen, der aber letztlich von den Betreuungsräumen abgezwackt werden musste. Im Gegensatz dazu verfügen die Stadtschule in Michelstadt und die Schule am Treppenweg in Erbach inzwischen über eigene Mensen, was die Organisation des Ganztags dort erleichtert. 

An der Astrid-Lindgren-Schule wird die Mensa der benachbarten Schule am Sportpark für das Mittagessen genutzt, was Kooperationen erfordert, aber Kapazitäten schafft.

Unserer Prognose nach wird der Bedarf an Ganztagsplätzen mit dem Rechtsanspruch ab 2026 – 2029 enorm wachsen, d.h. es werden umfassende Schulraumerweiterungen auf den Schulträger zukommen. Viel Zeit für eine detaillierte Planung bleibt nicht – hier werden kurzfristige Lösungen und ein nachhaltiger Ausbau parallel notwendig sein.

 

Zur 3. Frage: Wie funktioniert aktuell GT an den Grundschulen? Wie ist die Nachfrage / Auslastung? Wie schätzt die GEW den tatsächlichen Bedarf ein?

Alle Grundschulen im Odenwaldkreis sind inzwischen „ganztägig arbeitende Schule“ im Profil 1, was nur so viel bedeutet, dass an mindestens 3 Tagen Betreuungszeiten im Anschluss an den Unterricht  bis 14.30 Uhr gewährleistet werden müssen (inkl. Mittagessen, Hausaufgabenbetreuung). An einigen Schulen im Kreis wird das Angebot bis 15 Uhr oder auch an 4 Tagen gemacht. Darüber hinausgehende Betreuungszeiten (Frühbetreuung, Betreuung bis 16.30 Uhr) werden im Odenwaldkreis sehr unterschiedlich erbracht und sind für die Eltern in aller Regel kostenpflichtig. In einigen Schulen ist es die AWO, die als Träger fungiert, in der anderen der OVBUK (ehemals Lernstubb), in der nächsten Schule die Gemeinde oder auch ein Förderverein. Die Kapazitäten sind teilweise begrenzt, so dass Eltern auf Wartelisten sitzen. 

Der tatsächliche Bedarf wird mit dem kommenden Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ab 2026 deutlich steigen – die GEW schätzt, dass er bis zu 75 % der Schüler*innen betreffen könnte. 

Hier muss gehandelt werden! Die Landesregierung kann nicht die Hände in den Schoß legen, sondern muss mit den Schulträgern und allen Beteiligten an den Schulen gemeinsam Lösungen und Konzepte erarbeiten, die mehr bieten als reine „Betreuung“ und den Bildungsauftrag ernst nehmen. Nur so lässt sich sicherstellen, dass die Ganztagsangebote den Bedürfnissen der Kinder und Eltern gerecht werden und gleichzeitig die Qualität gewahrt bleibt.

 

Zur 4. Frage: Wie beurteilt die GEW die Zusammenarbeit mit der Verwaltung? Werden die Schulen ausreichend unterstützt, um die gesetzlichen Vorgaben bis 2026 erfüllen zu können?

Gute Frage! Wir von der GEW haben den Eindruck, dass zu wenig passiert!                                     Der Odenwaldkreis hat zwar im April 2023 einen Ganztagskoordinator, den Herrn Speckhardt, eingesetzt, konkrete Pläne oder Mitteilungen zur Ausgestaltung der Ganztagsangebote sind uns aber bisher nicht bekannt. Hier müssen wir als GEW, gemeinsam mit den politischen Akteuren, nachhaken.

Es gab bereits Initiativen, wie den Antrag der Grünen/Bündnis 90 im Haupt- und Finanzausschuss Anfang 2023, der ein Konzept für die Erweiterung des Ganztags forderte – insbesondere in Bezug auf Personal, Raumplanung und Schulbau. Aus Sicht der GEW war die Ablehnung dieses Antrags eine verpasste Chance, um strukturiert und frühzeitig die Weichen für den anstehenden Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung zu stellen.

 

Wir als GEW sehen in dem Ausbau des Ganztags eine dringende und notwendige gesellschaftliche Aufgabe! Wir wollen eine qualitativ gute Ganztagsentwicklung hin zum „echten“ Ganztag, der über reine Betreuung hinausgeht und Bildungs- sowie Entwicklungsangebote für alle Kinder umfasst.

 Wir haben im Rahmen unserer Möglichkeiten die Örtlichen Personalräte an den Schulen frühzeitig über den Stand der Dinge, die Notwendigkeiten und Herausforderungen informiert und fordern die Einbeziehung und Beteiligung der schulischen Gremien und Personalvertretungen in alle Entscheidungen an den Schulen. 

Auch der Landesvorstand der GEW Hessen hat sich umfassend positioniert und sieht im aktuellen Tempo der Umsetzung das Risiko eines „Blindflugs ins Scheitern“. 

Die Landesregierung ist aufgefordert, hier klare Unterstützung zu leisten, um die gesetzliche Vorgabe ab 2026 in qualitativer und quantitativer Hinsicht realisieren zu können.

 

Weitere Infos: https://www.gew-hessen.de/bildungsbereich/ganztag

 

V.i.S.d.P.: Angelika Lerch und Julia Manlik